Entscheidung

Entscheidung Nr. 2022-1016 QPC vom 21. Oktober 2022

Gesellschaft ContextLogic Inc [Dereferenzierung von Online-Schnittstellen]

Entscheidung Nr. 2022-1016 QPC
vom 21. Oktober 2022
 
Gesellschaft ContextLogic Inc
[Dereferenzierung von Online-Schnittstellen]
 
Der Verfassungsrat ist am 26. Juli 2022 gemäß den von Artikel 61-1 der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen vom Staatsrat (Beschluss Nr. 459960 vom 22. Juli 2022) bezüglich einer vorrangigen Frage zur Verfassungsmäßigkeit angerufen worden. Die Frage wurde von Herrn RA Alexandre Le Mière, Rechtsanwalt der Anwaltskammer von Paris, für die Gesellschaft ContextLogic Inc erhoben. Sie wurde unter dem Aktenzeichen Nr. 2022-1016 QPC beim Generalsekretariat des Verfassungsrates eingetragen. Die Frage hat die Vereinbarkeit der Vorschrift von Buchstabe a) von Ziffer 2o von Artikel L. 521-3-1 des Verbraucherschutzgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes Nr. 2020-1508 vom 3. Dezember 2020 über verschiedene Vorschriften zur Anpassung der Rechtsvorschriften an das Unionsrecht im Bereich Wirtschaft und Finanzen mit den von der Verfassung verbürgten Rechten und Freiheiten zum Gegenstand.
 
 
Unter Bezugnahme auf die nachfolgenden Rechtsnormen:
 

  • die Verfassung;
     
  • die gesetzesvertretende Verordnung Nr. 58-1067 vom 7. November 1958, Verfassungsergänzungsgesetz über den Verfassungsrat;
     
  • das Verbraucherschutzgesetzbuch;
     
  • die Verwaltungsprozessordnung;
     
  • das Gesetz Nr. 2020-1508 vom 3. Dezember 2020 über verschiedene Vorschriften zur Anpassung der Rechtsvorschriften an das Unionsrecht im Bereich Wirtschaft und Finanzen;
     
  • die Geschäftsordnung vom 4. Februar 2010 über das Verfahren vor dem Verfassungsrat bei vorrangigen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit.
     
     
    Unter Bezugnahme auf die nachfolgenden Verfahrensunterlagen:
     
  • die für die antragstellende Gesellschaft von der Rechtsanwaltskanzlei Melka - Prigent - Drusch, beim Staatsrat und beim Kassationsgerichtshof zugelassene Anwälte, eingereichte Stellungnahme, eingetragen am 17. August 2022;
     
  • die Stellungnahme der Premierministerin, eingetragen am selben Tage;
     
  • die für die als Nebenintervenientin auftretende Gesellschaft Google Ireland limited von Herrn RA Sébastien Proust, Rechtsanwalt der Anwaltskammer von Paris, eingereichte Stellungnahme, eingetragen am selben Tage;
     
  • die zusätzliche Stellungnahme der Premierministerin, eingetragen am 7. September 2022;
     
  • die zusätzliche für die als Nebenintervenientin auftretende Gesellschaft Google Ireland limited von Herrn RA Proust eingereichte Stellungnahme, eingetragen am selben Tage;
     
  • die weiteren zu den Verfahrensakten gegebenen Unterlagen.
     
    Nachdem Herr RA Ludwig Prigent, beim Staatsrat und beim Kassationsgerichtshof zugelassener Anwalt, und Herr RA Alexandre Glatz, Rechtsanwalt der Anwaltskammer von Paris, für die antragstellende Gesellschaft, Herr RA Proust für die als Nebenintervenientin auftretende Gesellschaft, sowie Herr Antoine Pavageau, Beauftragter der Premierministerin, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2022 gehört worden sind.
     
     
     
     
     
    Und nachdem der Berichterstatter gehört worden ist:
     
    AUFGRUND DER NACHFOLGENDEN ERWÄGUNGEN:
     
  1. Die Vorschrift von Buchstabe a) von Ziffer 2o von Artikel L. 521-3-1 des Verbraucherschutzgesetzbuches in der Fassung des oben genannten Gesetzes vom 3. Dezember 2020 sieht vor, dass die zuständige Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde bei Feststellungen von Verstößen gegen die Bestimmungen des Verbraucherschutzgesetzbuches
     
    „den unter die Regelungen des Absatzes I von Artikel L. 111-7 dieses Gesetzbuches fallenden Personen die Internetadressen von Online-Schnittstellen mit offensichtlich rechtswidrigem Inhalt mitteilen [kann], damit diese Personen jede geeignete Maßnahme ergreifen, Verweise auf diese Inhalte zu beenden“.
     
  2. Die antragstellende Gesellschaft trägt, unterstützt von der Nebenintervenientin, vor, diese Vorschrift erlaube den Behörden, die Dereferenzierung einer Online-Schnittstelle anzuordnen, ohne dass diese Vorschrift als Bedingung hierfür eine richterliche Genehmigung fordere und ohne dass sie vorsehe, dass die Maßnahme zeitlich beschränkt sein müsse und sich ausschließlich auf offensichtlich rechtswidrige Inhalte beziehen dürfe. Angesichts der sich für den Betreiber der Online-Schnittstelle sowie deren Benutzer ergebenden Folgen einer solchen Maßnahme, seien die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit sowie die Unternehmerfreiheit verletzt.
     
  3. Die als Nebenintervenientin auftretende Gesellschaft behauptet im Übrigen, diese Vorschrift verstoße gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz, gegen die Rechte der Verteidigung, gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit sowie gegen das „Recht auf eine ordnungsgemäße Verwaltung“, da sie nicht vorsehe, dass die Entscheidung über die Dereferenzierung mit Gründen versehen sein und dieser ein kontradiktorisches Verfahren vorangehen müsse.
     
  • Über die Rüge, die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit sei verletzt:
     
  1. Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 bestimmt: „Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte. Jeder Bürger kann also frei schreiben, reden und drucken unter Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen“. Beim gegenwärtigen Stand der Kommunikationsmöglichkeiten und vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung öffentlich zugänglicher Online-Kommunikationsdienste sowie der Bedeutung dieser Dienste für die demokratische Teilhabe und die Äußerung von Meinungen und Gedanken, schließt dieses Recht den freien Zugang zu solchen Diensten und die Freiheit, sich dort zu äußern, ein.
     
  2. Artikel 34 der Verfassung bestimmt: „Durch Gesetz werden geregelt: die staatsbürgerlichen Rechte und die den Staatsbürgern zur Ausübung ihrer Grundfreiheiten gewährten Grundrechte […]“. Dem Gesetzgeber steht es auf dieser Grundlage frei, Vorschriften bezüglich der Ausübung des Rechts der freien Mitteilung und des Rechts, frei zu reden, zu schreiben und zu drucken zu erlassen. Es steht ihm diesbezüglich auch frei, Regelungen zur Verhinderung eines gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die Rechte Dritter verstoßenden Missbrauchs der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit zu beschließen. Allerdings ist die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit umso kostbarer, da sie für die Demokratie konstitutiv ist und eine der Gewährleistungen für die Achtung der weiteren Grund- und Freiheitsrechte darstellt. Daraus ergibt sich, dass Eingriffe in diese Freiheit in Bezug auf den verfolgten Zweck notwendig, geeignet und angemessen sein müssen.
     
  3. Artikel L. 521-3-1 des Verbraucherschutzgesetzbuches sieht vor, dass die die zuständige Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde Maßnahmen anordnen kann, um bestimmte, missbräuchliche Geschäftspraktiken zu unterbinden, die über eine Online-Schnittstelle erfolgen. Als eine solche Maßnahme sieht die angegriffene Vorschrift unter anderem vor, dass in bestimmten Fällen die Behörde den Betreibern von Online-Plattformen auferlegen kann, die Verweise auf Internetadressen von Online-Schnittstellen mit rechtswidrigem Inhalt zu entfernen.
     
  4. Diese Vorschrift erlaubt der zuständigen Behörde, den Zugang der Nutzer zu Webseiten oder zu webbasierten Anwendungen zu beschränken, indem sie die Löschung der Nennung von deren Internetadressen in den von den Plattformbetreibern vorgenommenen Einordnungen und Verweisen anordnet. Damit greift die Vorschrift in die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit ein.
     
  5. Zum Ersten hat der Gesetzgeber mit der Verabschiedung der angegriffenen Vorschrift den Verbraucherschutz stärken und die Lauterkeit des Online-Handelsverkehrs sicherstellen wollen. Damit hat er ein Ziel von Allgemeininteresse verfolgt.
     
  6. Zum Zweiten gilt die Dereferenzierung in Bezug auf Webseiten und webbasierte Anwendungen, die von einem Gewerbetreibenden oder in dessen Namen zu kommerziellen Zwecken betrieben werden und den Verbrauchern den Zugang zu den von ihnen angebotenen Waren oder Dienstleistungen ermöglichen, nur in denjenigen Fällen, in denen von diesen Online-Schnittstellen ausgehende Praktiken festgestellt wurden, die den Tatbestand bestimmter, mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren geahndeter Straftaten erfüllen und geeignet sind, die Lauterkeit des Online-Handelsverkehrs oder die Interessen der Verbraucher schwer zu beeinträchtigen. Darüber hinaus dürfen nur die Internetadressen von solchen Online-Schnittstellen Gegenstand einer Dereferenzierung sein, deren Inhalte offensichtlich rechtswidrig sind.
     
  7. Zum Dritten kann die angegriffene Vorschrift auch nur dann Anwendung finden, wenn der Urheber der festgestellten missbräuchlichen Praktik nicht ermittelt werden konnte oder wenn er einer nach einem kontradiktorischen Verfahren ergangenen und vor dem zuständigen Gericht anfechtbaren Anordnung zur Einhaltung des Rechts nicht Folge geleistet hat.
     
  8. Zum Vierten darf die von der Behörde für die Dereferenzierung festgesetzte Frist nicht weniger als achtundvierzig Stunden betragen. Diese Frist gibt den von der Maßnahme betroffenen Personen die Möglichkeit, die Entscheidung sachgerecht im Rahmen eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz auf der Grundlage der Artikel L. 521-1 und L. 521-2 der Verwaltungsprozessordnung anzufechten.
     
  9. Schließlich stellt die angegriffene Vorschrift sicher, dass, unter der Aufsicht der zuständigen Gerichte, welche die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme überprüfen, die Dereferenzierung sich auf die Gesamtheit oder nur auf Teile der Online-Schnittstelle erstrecken kann.
     
  10. Aus allen diesen Ausführungen folgt, dass die Rüge, die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit sei verletzt, zurückzuweisen ist.
     
  • Über die Rüge, die Unternehmerfreiheit sei verletzt:
     
  1. Es steht dem Gesetzgeber frei, auf der Grundlage verfassungsrechtlicher Vorgaben oder des Allgemeinwohls Beschränkungen der sich aus Artikel 4 der Erklärung von 1789 ergebenden Unternehmerfreiheit vorzusehen, unter der Voraussetzung, dass dadurch keine im Hinblick auf das verfolgte Ziel unverhältnismäßigen Eingriffe entstehen.
     
  2. Indem sie der zuständigen Behörde erlaubt, die Dereferenzierung der Internetadressen von Online-Schnittstellen, die Waren oder Dienstleistungen anbieten, anzuordnen, greift die angegriffene Bestimmung in die Unternehmerfreiheit ein. Jedoch hat sie nicht zur Folge, die Ausübung der gewerblichen Tätigkeit der Betreiber dieser Online-Schnittstellen zu unterbinden, da die betreffenden Internetadressen weiterhin unmittelbar online zugänglich bleiben. Daher, und aus denselben wie weiter oben dargelegten Gründen, ist die Rüge zu verwerfen, die Unternehmerfreiheit sei verletzt.
     
  3. Die angegriffene Bestimmung, die auch nicht gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz und gegen die Rechte der Verteidigung oder gegen andere von der Verfassung verbürgte Rechte und Freiheiten verstößt, ist für verfassungskonform zu erklären.
     
    ENTSCHEIDET DER VERFASSUNGSRAT:
     
    Artikel 1. - Die Vorschrift von Buchstabe a) von Ziffer 2o von Artikel L. 521-3-1 des Verbraucherschutzgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes Nr. 2020-1508 vom 3. Dezember 2020 über verschiedene Vorschriften zur Anpassung der Rechtsvorschriften an das Unionsrecht im Bereich Wirtschaft und Finanzen ist verfassungsgemäß.
     
    Artikel 2. - Diese Entscheidung wird im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht und gemäß den Vorschriften des Artikels 23-11 der oben genannten gesetzesvertretenden Verordnung vom 7. November 1958 zugestellt.
     
    Beschlossen durch den Verfassungsrat in seiner Sitzung vom 20. Oktober 2022, an der teilgenommen haben die Damen und Herren Laurent FABIUS, Präsident, Jacqueline GOURAULT, Alain JUPPÉ, Corinne LUQUIENS, Jacques MÉZARD, François PILLET, Michel PINAULT und François SÉNERS.
     
    Veröffentlicht am 21. Oktober 2022

Les abstracts

  • 4. DROITS ET LIBERTÉS
  • 4.16. LIBERTÉ D'EXPRESSION ET DE COMMUNICATION
  • 4.16.5. Communication électronique
  • 4.16.5.5. Consultation ou utilisation d'un service de communication en ligne

L'article L. 521-3-1 du code de la consommation prévoit que l'autorité administrative chargée de la concurrence et de la consommation peut prendre des mesures pour faire cesser certaines pratiques commerciales frauduleuses commises à partir d'une interface en ligne. Parmi ces mesures, les dispositions contestées prévoient que, dans certains cas, elle peut enjoindre aux opérateurs de plateforme en ligne de procéder au déréférencement des adresses électroniques des interfaces en ligne dont les contenus présentent un caractère illicite. Ces dispositions permettent à l'autorité administrative de limiter l'accès des utilisateurs à des sites internet ou à des applications en imposant la disparition de leurs adresses électroniques dans le classement ou le référencement mis en œuvre par les opérateurs de plateforme en ligne. Ce faisant, elles portent atteinte à la liberté d'expression et de communication.
En premier lieu, en adoptant les dispositions contestées, le législateur a entendu renforcer la protection des consommateurs et assurer la loyauté des transactions commerciales en ligne. Il a ainsi poursuivi un objectif d'intérêt général. En deuxième lieu, d'une part, la mesure de déréférencement ne s'applique qu'à des sites internet ou à des applications, exploités à des fins commerciales par un professionnel ou pour son compte, et permettant aux consommateurs d'accéder aux biens ou services qu'ils proposent, lorsqu'ont été constatées à partir de ces interfaces des pratiques caractérisant certaines infractions punies d'une peine d'au moins deux ans d'emprisonnement et de nature à porter une atteinte grave à la loyauté des transactions ou à l'intérêt des consommateurs. D'autre part, seules peuvent faire l'objet d'un déréférencement les adresses électroniques des interfaces en ligne dont les contenus présentent un caractère manifestement illicite. En troisième lieu, les dispositions contestées ne peuvent être mises en œuvre que si l'auteur de la pratique frauduleuse constatée sur cette interface n'a pu être identifié ou s'il n'a pas déféré à une injonction de mise en conformité prise après une procédure contradictoire et qui peut être contestée devant le juge compétent. En quatrième lieu, le délai fixé par l'autorité administrative pour procéder au déréférencement ne peut être inférieur à quarante-huit heures. Ce délai permet aux personnes intéressées de contester utilement cette décision par la voie d'un recours en référé sur le fondement des articles L. 521-1 et L. 521-2 du code de justice administrative. En dernier lieu, les dispositions contestées permettent, sous le contrôle du juge qui s'assure de sa proportionnalité, que la mesure de déréférencement s'applique à tout ou partie de l'interface en ligne. Il résulte de tout ce qui précède que le grief tiré de la méconnaissance de la liberté d'expression et de communication doit être écarté.

(2022-1016 QPC, 21 Oktober 2022, cons. 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, JORF n°0246 du 22 octobre 2022, texte n° 71)
  • 4. DROITS ET LIBERTÉS
  • 4.21. LIBERTÉS ÉCONOMIQUES
  • 4.21.2. Liberté d'entreprendre
  • 4.21.2.5. Conciliation du principe
  • 4.21.2.5.2. Avec l'intérêt général

En permettant à l'autorité administrative d'ordonner le déréférencement des adresses électroniques des interfaces en ligne proposant des biens ou services, les dispositions contestées de l'article L. 521-3-1 du code de la consommation portent atteinte à la liberté d'entreprendre. Toutefois, elles n'ont pas pour effet d'empêcher les exploitants de ces interfaces d'exercer leurs activités commerciales, leurs adresses demeurant directement accessibles en ligne. Dès lors, et pour les mêmes motifs que ceux énoncés aux paragraphes 8 à 12 de la décision, qui font notamment référence à l'objectif d'intérêt général poursuivi par le législateur ainsi qu'aux garanties qui entourent la mesure de déréférencement, le grief tiré de la méconnaissance de la liberté d'entreprendre doit être écarté.

(2022-1016 QPC, 21 Oktober 2022, cons. 15, JORF n°0246 du 22 octobre 2022, texte n° 71)
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