Entscheidung Nr. 2012-240 QPC vom 4. Mai 2012
Der Verfassungsrat ist am 29. Februar 2012 gemäß den von Artikel 61-1 der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen vom Kassationsgerichtshof (Strafsenat, Beschluss Nr. 1365 vom 29. Februar 2012) bezüglich einer von Herrn Gérard D. erhobenen vorrangigen Frage zur Verfassungsmäßigkeit angerufen worden, welche die Frage der Vereinbarkeit von Artikel 222-33 des Strafgesetzbuches mit den von der Verfassung verbürgten Rechten und Freiheiten zum Gegenstand hat.
DER VERFASSUNGSRAT,
Unter Bezugnahme auf die Verfassung;
Unter Bezugnahme auf die geänderte gesetzesvertretende Verordnung Nr. 58-1067 vom 7. November 1958, Verfassungsergänzungsgesetz über den Verfassungsrat;
Unter Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch;
Unter Bezugnahme auf das Gesetz Nr. 92-684 vom 22. Juli 1992 über die Reform der Vorschriften des Strafgesetzbuches zur Ahndung von Vergehen und Verbrechen gegen Menschen;
Unter Bezugnahme auf das Gesetz Nr. 98-468 vom 17. Juni 1998 über die Vorbeugung und Ahndung von Sexualdelikten und über den Schutz von Minderjährigen;
Unter Bezugnahme auf das Gesetz Nr. 2002-73 vom 17. Januar 2002, Sozialreformgesetz;
Unter Bezugnahme auf die Geschäftsordnung vom 4. Februar 2010 über das Verfahren vor dem Verfassungsrat bei vorrangigen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit;
Unter Bezugnahme auf die für die Europäische Vereinigung gegen Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz [Association européenne contre les violences faites aux femmes au travail] von Frau RAin Nadjette Guenatef, Rechtsanwältin der Anwaltskammer von Créteil, eingereichten Stellungnahmen, eingetragen am 19. März und am 12. April 2012;
Unter Bezugnahme auf die für den Antragsteller von der Rechtsanwaltskanzlei Waquet-Farge-Hazan, beim Staatsrat und beim Kassationsgerichtshof zugelassene Anwälte, eingereichten Stellungnahmen, eingetragen am 23. März und am 6. April 2012;
Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Premierministers, eingetragen am 23. März 2012;
Unter Bezugnahme auf die zu den Verfahrensakten gegebenen Unterlagen;
Nachdem Frau RAin Claire Waquet, Herr RA André Soulier und Frau RAin Nadjette Guenatef, sowie Herr Xavier Pottier, Beauftragter des Premierministers, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2012 gehört worden sind;
Nachdem der Berichterstatter gehört worden ist;
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In Erwägung dessen, dass der Artikel 222-33 des Strafgesetzbuches lautet: „Wer eine Person mit dem Ziel belästigt, sexuelle Gefälligkeiten zu erhalten, wird mit einem Jahr Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 15.000 Euro bestraft“;
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In Erwägung dessen, dass der Antragsteller behauptet, der Wortlaut der angegriffenen Vorschrift - „wer eine Person mit dem Ziel belästigt, sexuelle Gefälligkeiten zu erhalten“ - ahnde einen Tatbestand ohne die genauen Tatbestandsmerkmale zu definieren und verstoße daher gegen das Legalitätsprinzip, sowie gegen den Grundsatz der Klarheit und Genauigkeit des Gesetzes, den Grundsatz der Vorhersehbarkeit des Rechts sowie den Grundsatz der Rechtssicherheit;
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In Erwägung dessen, dass der Gesetzgeber aufgrund von Artikel 34 der Verfassung, sowie des Legalitätsprinzips nach Artikel 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, gehalten ist, selbst den Anwendungsbereich des Strafrechts festzulegen und die Tatbestandsmerkmale der Verbrechen und Vergehen hinreichend eindeutig und genau zu bestimmen;
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In Erwägung dessen, dass gemäß der Definition des von Artikel 222-33 des Neuen Strafgesetzbuches geahndeten Tatbestands der sexuellen Belästigung in der Fassung durch das oben genannte Gesetz vom 22. Juli 1992 diesen Tatbestand erfüllte, wer „durch Missbrauch seiner mit seiner Stellung einhergehenden Machtbefugnisse eine Person durch Anweisungen, Drohungen oder Zwang mit dem Ziel belästigt, sexuelle Gefälligkeiten zu erhalten“; dass der Artikel 11 des oben genannten Gesetzes vom 17. Juni 1998 die Definition dieses Straftatbestandes neu gefasst und die Worte „durch Anweisungen, Drohungen oder Zwang“ ersetzt hat durch die Worte „indem er ihr Anweisungen gibt, ihr droht oder ihr gegenüber Zwang oder schwerwiegenden Druck ausübt“; dass der Artikel 179 des oben genannten Gesetzes vom 17. Januar 2002 den Tatbestand der sexuellen Belästigung erneut neu gefasst hat und dieser seitdem vom angegriffenen Wortlaut des Artikels 222-33 des Strafgesetzbuches definiert ist;
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In Erwägung dessen, dass aus diesen Ausführungen folgt, dass der Artikel 222-33 des Strafgesetzbuches die Ahndung sexueller Belästigungen erlaubt, ohne dass die Tatbestandsmerkmale dieses Deliktes hinreichend genau bestimmt wären; dass diese Vorschrift daher das Legalitätsprinzip verletzt und für verfassungswidrig erklärt werden muss;
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In Erwägung dessen, dass Artikel 62 Absatz 2 der Verfassung bestimmt: „Eine gemäß Artikel 61-1 für verfassungswidrig erklärte Bestimmung ist ab der Veröffentlichung der Entscheidung des Verfassungsrates oder zu einem in dieser Entscheidung festgesetzten späteren Zeitpunkt aufgehoben. Der Verfassungsrat bestimmt die Bedingungen und Grenzen einer möglichen Anfechtung der Folgen der betreffenden Bestimmung“; dass wenngleich grundsätzlich die Partei, welche die vorrangige Frage zur Verfassungsmäßigkeit erhoben hat, einen Vorteil aus der Verfassungswidrigkeitserklärung erlangen soll und die für verfassungswidrig erklärte Bestimmung in zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsrates anhängigen Gerichtsverfahren nicht mehr angewendet werden darf, so behält die Vorschrift des Artikels 62 der Verfassung dem Verfassungsrat vor, den Zeitpunkt festzulegen, an dem die Aufhebung der verfassungswidrigen Norm eintritt, und zu bestimmen, ob und auf welche Art und Weise Rechtsfolgen angefochten werden können, die vor der Verfassungswidrigkeitserklärung auf der Grundlage der verfassungswidrigen Vorschrift eingetreten sind;
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In Erwägung dessen, dass die Aufhebung des Artikels 222-33 der Strafprozessordnung mit der Veröffentlichung der vorliegenden Entscheidung wirksam wird; dass diese Aufhebung gegenüber allen zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen gerichtlichen Verfahren wirksam ist,
ENTSCHEIDET:
Artikel 1 - Der Artikel 222-33 des Strafgesetzbuches ist verfassungswidrig.
Artikel 2 - Die in Artikel 1 ausgesprochene Verfassungswidrigkeitserklärung wird ab der Veröffentlichung der vorliegenden Entscheidung gemäß den in der Erwägung Nr. 7 festgelegten Voraussetzungen wirksam.
Artikel 3 - Diese Entscheidung wird im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht und gemäß den Vorschriften des Artikels 23-11 der oben genannten gesetzesvertretenden Verordnung vom 7. November 1958 zugestellt.
Beschlossen durch den Verfassungsrat in seiner Sitzung vom 3. Mai 2012, an der teilgenommen haben die Damen und Herren Jean-Louis DEBRÉ, Präsident, Jacques BARROT, Claire BAZY MALAURIE, Guy CANIVET, Michel CHARASSE, Renaud DENOIX de SAINT MARC, Jacqueline de GUILLENCHMIDT, Hubert HAENEL und Pierre STEINMETZ.
Veröffentlicht am 4. Mai 2012.
Les abstracts
- 4. DROITS ET LIBERTÉS
- 4.23. PRINCIPES DE DROIT PÉNAL ET DE PROCÉDURE PÉNALE
- 4.23.2. Principe de la légalité des délits et des peines
- 4.23.2.1. Compétence du législateur
- 4.23.2.1.2. Applications
4.23.2.1.2.2. Méconnaissance de la compétence du législateur
Le législateur tient de l'article 34 de la Constitution, ainsi que du principe de légalité des délits et des peines qui résulte de l'article 8 de la Déclaration des droits de l'homme et du citoyen de 1789, l'obligation de fixer lui-même le champ d'application de la loi pénale et de définir les crimes et délits en termes suffisamment clairs et précis.
Dans sa rédaction résultant de la loi n° 92-624 du 22 juillet 1992, le harcèlement sexuel, prévu et réprimé par l'article 222-33 du nouveau code pénal, était défini comme " Le fait de harceler autrui en usant d'ordres, de menaces ou de contraintes, dans le but d'obtenir des faveurs de nature sexuelle, par une personne abusant de l'autorité que lui confèrent ses fonctions ". L'article 11 de la loi n° 98-468 du 17 juin 1998 a donné une nouvelle définition de ce délit en substituant aux mots " en usant d'ordres, de menaces ou de contraintes ", les mots : " en donnant des ordres, proférant des menaces, imposant des contraintes ou exerçant des pressions graves ". L'article 179 de la loi n° 2002-73 du 17 janvier 2002 a de nouveau modifié la définition du délit de harcèlement sexuel en conférant à l'article 222-33 du code pénal la rédaction contestée.
Il résulte de ce qui précède que l'article 222-33 du code pénal, qui réprime " le fait de harceler autrui dans le but d'obtenir des faveurs de nature sexuelle " permet que le délit de harcèlement sexuel soit punissable sans que les éléments constitutifs de l'infraction soient suffisamment définis. Ainsi, ces dispositions méconnaissent le principe de légalité des délits et des peines et doivent être déclarées contraires à la Constitution.
- 11. CONSEIL CONSTITUTIONNEL ET CONTENTIEUX DES NORMES
- 11.8. SENS ET PORTÉE DE LA DÉCISION
- 11.8.6. Portée des décisions dans le temps
- 11.8.6.2. Dans le cadre d'un contrôle a posteriori (article 61-1)
- 11.8.6.2.2. Abrogation
11.8.6.2.2.1. Abrogation à la date de la publication de la décision
L'abrogation de l'article 222-33 du code pénal prend effet à compter de la publication de la décision du Conseil constitutionnel. Elle est applicable à toutes les affaires non jugées définitivement à cette date.