Entscheidung

Entscheidung Nr. 2011-210 QPC vom 13. Januar 2012

Herr Ahmed S. [Abberufung eines Bürgermeisters]

Der Verfassungsrat ist am 24. Oktober 2011 gemäß den von Artikel 61-1 der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen vom Staatsrat (Beschluss Nr. 348771 vom 24. Oktober 2011) bezüglich einer von Herrn Ahmed S. erhobenen vorrangigen Frage zur Verfassungsmäßigkeit angerufen worden, welche die Frage der Vereinbarkeit des Artikels L. 2122-16 des Gesetzbuches über die Gebietskörperschaften mit den von der Verfassung verbürgten Rechten und Freiheiten zum Gegenstand hat.

DER VERFASSUNGSRAT,

Unter Bezugnahme auf die Verfassung;

Unter Bezugnahme auf die geänderte gesetzesvertretende Verordnung Nr. 58-1067 vom 7. November 1958, Verfassungsergänzungsgesetz über den Verfassungsrat;

Unter Bezugnahme auf das Gesetzbuch über die Gebietskörperschaften;

Unter Bezugnahme auf die Geschäftsordnung vom 4. Februar 2010 über das Verfahren vor dem Verfassungsrat bei vorrangigen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit;

Unter Bezugnahme auf die für den Antragsteller von der Rechtsanwaltskanzlei Ortscheidt, beim Staatsrat und beim Kassationsgerichtshof zugelassene Anwälte, eingereichte Stellungnahme, eingetragen am 10. November 2011;

Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Premierministers, eingetragen am 15. November 2011;

Unter Bezugnahme auf die zu den Verfahrensakten gegebenen Unterlagen;

Nachdem Herr Xavier Pottier, Beauftragter des Premierministers, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2011 gehört worden ist;

Nachdem der Berichterstatter gehört worden ist;

  1. In Erwägung dessen, dass der Artikel L. 2122-16 des Gesetzbuches über die Gebietskörperschaften bestimmt: „Bürgermeister und ihre Stellvertreter können, nachdem sie zu dem ihnen zur Last gelegten Sachverhalt gehört oder aufgefordert worden sind, schriftlich Stellung zu nehmen, durch einen mit Gründen versehenen Ministerialerlass für eine Dauer von bis zu einem Monat vorläufig ihres Amtes enthoben werden. Eine endgültige Abberufung kann nur durch ein mit Gründen versehenes, im Ministerrat beschlossenes Dekret erfolgen.
    „Bei Klagen vor den Verwaltungsgerichten gegen den Amtsenthebungserlass beziehungsweise das Abberufungsdekret besteht kein Anwaltszwang.
    „Eine Abberufung bewirkt von Rechts wegen die Nichtwählbarkeit für das Amt eines Bürgermeisters oder stellvertretenden Bürgermeisters; diese Nichtwählbarkeit gilt für die Dauer eines Jahres ab dem Erlass des Abberufungsdekretes, außer in den Fällen, in denen vorher eine allgemeine Wahl zu den Gemeindevertretungen stattfindet“;

  2. In Erwägung dessen, dass der Antragsteller behauptet, diese Vorschrift verletze zum einen den Artikel 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, da sie es versäume, die Gründe anzuführen, welche die Entscheidung, einen Bürgermeister vorläufig seines Amtes zu entheben beziehungsweise ihn abzuberufen, rechtfertigen können; dass die Vorschrift zum anderen auch gegen den von Artikel 72 der Verfassung geschützten Grundsatz der freien Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften verstoße, da sie die Ausübung dieser Strafgewalt auch in Fällen erlaube, in denen die Ausübung von an die ausführenden Organe der Gemeinden übertragenen Zuständigkeiten betroffen sei;

  • ÜBER DIE RÜGE, DIE IM DISZIPLINARRECHT EINSCHLÄGIGEN VERFASSUNGSRECHTLICHEN VORGABEN SEIEN VERLETZT:
  1. In Erwägung dessen, dass Artikel 8 der Erklärung von 1789 verkündet: „Das Gesetz soll nur solche Strafen festsetzen, die offensichtlich unbedingt notwendig sind, und niemand darf auf Grund eines Gesetzes bestraft werden, das nicht vor Begehung der Tat erlassen, verkündet und rechtmäßig angewandt worden ist“; dass die in diesem Artikel niedergelegten Grundsätze nicht nur gegenüber den Strafen Anwendung finden, die von den Strafgerichten verhängt werden, sondern für jede Strafmaßnahme gelten;

  2. In Erwägung dessen, dass die Anforderung einer genauen Bestimmung geahndeter Verfehlungen außerhalb des Strafrechts - hier im Verwaltungsrecht - erfüllt ist, wenn auf die Pflichten hingewiesen wurde, denen der Inhaber eines öffentlichen Amtes gemäß geltendem Recht unterliegt;

  3. In Erwägung dessen, dass, wie aus der ständigen Rechtsprechung des Staatsrats hervorgeht, die angegriffene Vorschrift zum Gegenstand hat, schwerwiegende und wiederholte Verletzungen der Amtspflichten eines Bürgermeisters zu ahnden und somit Verhaltensweisen zu unterbinden, die erwiesenermaßen schwerwiegend sind; dass, unter diesen Voraussetzungen, das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf die Bürgermeistern auferlegten Amtspflichten das Legalitätsprinzip nicht verletzt, wenngleich die angegriffene Vorschrift eine Strafmaßnahme vorsieht;

  • ÜBER DIE RÜGE, DER GRUNDSATZ DER FREIEN SELBSTVERWALTUNG DER GEBIETSKÖRPERSCHAFTEN SEI VERLETZT:
  1. In Erwägung dessen, dass wenngleich der dritte Absatz von Artikel 72 der Verfassung bestimmt, dass sich die Gebietskörperschaften durch gewählte Räte selbst verwalten, so geschieht dies für jede Körperschaft „nach den gesetzlich vorgesehenen Bedingungen“; dass Artikel 34 der Verfassung dem Gesetzgeber vorbehält, die Grundsätze der Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften festzulegen;

  2. In Erwägung dessen, dass die angegriffene Vorschrift die Verhängung von Strafmaßnahmen gegen Bürgermeister erlaubt, gleichgültig, ob diese die ihnen zur Last gelegte Verfehlung in ihrer Eigenschaft als Repräsentant des Staates oder in ihrer Eigenschaft als ausführendes Organ einer Gemeinde begangen haben; dass die Pönalisierung von Verletzungen der mit dem Amt des Bürgermeisters einhergehenden Pflichten als solche den Grundsatz der freien Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften nicht verletzt; dass die vorläufige Amtsenthebung und die Abberufung - beides Maßnahmen, welche sämtliche Amtsbefugnisse eines Bürgermeisters berühren - auf der Grundlage des Gesetzes ergehen; dass die angegriffene Bestimmung infolgedessen nicht gegen den Grundsatz der freien Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften verstößt;

  3. In Erwägung dessen, dass die angegriffene Vorschrift auch nicht gegen andere von der Verfassung verbürgte Rechte und Freiheiten verstößt,

ENTSCHEIDET:

Artikel 1 - Der Artikel L. 2122-16 des Gesetzbuches über die Gebietskörperschaften ist verfassungsgemäß.

Artikel 2 - Diese Entscheidung wird im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht und gemäß den Vorschriften des Artikels 23-11 der oben genannten gesetzesvertretenden Verordnung vom 7. November 1958 zugestellt.

Beschlossen durch den Verfassungsrat in seiner Sitzung vom 12. Januar 2012, an der teilgenommen haben die Damen und Herren Jean-Louis DEBRÉ, Präsident, Jacques BARROT, Claire BAZY MALAURIE, Guy CANIVET, Michel CHARASSE, Renaud DENOIX de SAINT MARC, Jacqueline de GUILLENCHMIDT, Hubert HAENEL und Pierre STEINMETZ.

Veröffentlicht am 13. Januar 2012.

Les abstracts

  • 4. DROITS ET LIBERTÉS
  • 4.23. PRINCIPES DE DROIT PÉNAL ET DE PROCÉDURE PÉNALE
  • 4.23.1. Champ d'application des principes de l'article 8 de la Déclaration de 1789
  • 4.23.1.3. Transposition en matière de répression administrative

Les principes énoncés par l'article 8 de la Déclaration de 1789 ne concernent pas seulement les peines prononcées par les juridictions pénales mais s'étendent à toute sanction ayant le caractère d'une punition.
Appliquée en dehors du droit pénal, l'exigence d'une définition des manquements sanctionnés se trouve satisfaite, en matière administrative, par la référence aux obligations auxquelles le titulaire d'une fonction publique est soumis en vertu des lois et règlements.
Les dispositions de l'article L. 2122-16 du code général des collectivités territoriales ont, ainsi qu'il résulte de la jurisprudence constante du Conseil d'État, pour objet de réprimer les manquements graves et répétés aux obligations qui s'attachent aux fonctions de maire et de mettre ainsi fin à des comportements dont la particulière gravité est avérée. Dans ces conditions, si ces dispositions instituent une sanction ayant le caractère d'une punition, l'absence de référence expresse aux obligations auxquelles les maires sont soumis en raison de leurs fonctions ne méconnaît pas le principe de la légalité des délits.

(2011-210 QPC, 13 Januar 2012, cons. 3, 4, 5, Journal officiel du 14 janvier 2012, page 753, texte n° 95)
  • 4. DROITS ET LIBERTÉS
  • 4.23. PRINCIPES DE DROIT PÉNAL ET DE PROCÉDURE PÉNALE
  • 4.23.2. Principe de la légalité des délits et des peines
  • 4.23.2.1. Compétence du législateur
  • 4.23.2.1.2. Applications
  • 4.23.2.1.2.1. Absence de méconnaissance de la compétence du législateur

Les dispositions de l'article L. 2122-16 du code général des collectivités territoriales ont, ainsi qu'il résulte de la jurisprudence constante du Conseil d'État, pour objet de réprimer les manquements graves et répétés aux obligations qui s'attachent aux fonctions de maire et de mettre ainsi fin à des comportements dont la particulière gravité est avérée. Dans ces conditions, si ces dispositions instituent une sanction ayant le caractère d'une punition, l'absence de référence expresse aux obligations auxquelles les maires sont soumis en raison de leurs fonctions ne méconnaît pas le principe de la légalité des délits.

(2011-210 QPC, 13 Januar 2012, cons. 5, Journal officiel du 14 janvier 2012, page 753, texte n° 95)
  • 14. ORGANISATION DÉCENTRALISÉE DE LA RÉPUBLIQUE
  • 14.1. PRINCIPES GÉNÉRAUX
  • 14.1.3. Libre administration des collectivités territoriales
  • 14.1.3.2. Absence de violation du principe

Si, selon le troisième alinéa de l'article 72 de la Constitution, les collectivités territoriales " s'administrent librement par des conseils élus ", chacune d'elles le fait " dans les conditions prévues par la loi ". Son article 34 réserve au législateur la détermination des principes fondamentaux de la libre administration des collectivités territoriales.
Les dispositions de l'article L. 2122-16 du code général des collectivités territoriales permettent de prendre des sanctions contre le maire qu'il ait agi en qualité d'agent de l'État ou d'autorité exécutive de la commune. L'institution de sanctions réprimant les manquements des maires aux obligations qui s'attachent à leurs fonctions ne méconnaît pas, en elle-même, la libre administration des collectivités territoriales. La suspension ou la révocation, qui produit des effets pour l'ensemble des attributions du maire, est prise en application de la loi. Par suite, les dispositions contestées ne méconnaissent pas la libre administration des collectivités territoriales.

(2011-210 QPC, 13 Januar 2012, cons. 6, 7, Journal officiel du 14 janvier 2012, page 753, texte n° 95)
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